1.6.22

Spiritus familiaris - Volles Gedicht

 


I

So hat er sich umsonst gequält, umsonst verkauft die werthe Stätte,
Wo seiner Kindheit Linde steht und seiner Eltern Sterbebette,
Umsonst hat er so manchen Tag den frostbeklemmten Hauch gesogen,
In seiner starren Hand den Zaum, umknistert von des Schnees Wogen,
Beim Morgenroth, beim Abendroth,
Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!

Der Täuscher kniet am Pflastergrund, er streicht des Rosses heiße Flanken,
Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten wanken;
Bei Gott, es lebt! - im Aug' ein Blitz! - es schleudert, zittert, hüben, drüben,
Dann streckt es sich, die Nüstern stehn, vom wilden Schreie aufgetrieben,
Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,
Der Lebenswärme letzter Kampf.

Der Täuscher kniet und streichelt fort, nicht trauen will er seinem Auge,
Und schwellend in die Wimper steigt der Mannesthräne bittre Lauge,
Sacht langt die Decke er herbei und schlägt sie um des Thieres Weichen,
Dann läßt er der Laterne Schein ob den gespannten Sehnen streichen;
Es ist vorbei, kein Odemhauch,
Und schon verschwimmt der Flanken Rauch.

Vom Boden hebt er sich, er steht, der schwergebeugte Mann der Sorgen,
Und langsam hat er seine Stirn, hat sie in hohler Hand geborgen;
Was heute war? was morgen wird? wie könnt' er dessen sich entsinnen!
Und der Verzweiflung Schlange fühlt er kalt zum Herzen niederrinnen.
Was war? was ist? - er fährt empor,
Ein Klirren, dicht an seinem Ohr!

Und an dem nächsten Ständer lehnt, des todten Rappen Zaum und Zügel
Gelassen wägend in der Hand, ein Mann mit Hafermaaß und Striegel,
So stämmig, wie durch Frost und Staub der Kärrner treibt die derben Glieder,
In seinem breiten Nacken hängt der breite Schlapphut tröpfelnd nieder,
Und ruhig auf den Täuscher itzt
Sein graubewimpert Auge blitzt.

"Herr!" hebt er an: "Ihr dauert mich, ein feines Thier ist euch gefallen,
Doch weiß ich eins, ihm gleich wie sich am Paternoster zwei Korallen;
Ich nenne euch den Ort, das Haus, ihr habt es um zweihundert Gulden,
Dann wüßt' ich einen Herrn, der drum sein halbes Erbe würde schulden."
Der Täuscher horcht, und stammelt dann:
"Ich bin ein ganz verarmter Mann!"

"Wie, eure prächt'ge Kuppel hin? wie, die ich in den Ostertagen
So frisch das Pflaster stampfen sah? fürwahr, da seyd Ihr zu beklagen!
O, euer Brauner mit dem Stern, der zierlich vor den Damen kniete!
O, euer Weißgeborner, dem's wie Funken aus den Nüstern sprühte!"
Der Täuscher hat sich abgewandt,
Er zupft am Zaume, ballt die Hand;

Und sinnend steht der Schlapphut, mißt mit steifem Blick der Kiste Bohlen,
"Herr!" flüstert er: "schließt eure Faust um blankgeränderte Pistolen!
Die Stunde zehrt, es schwillt der Mond, bald ist des Jahres Schluß gekommen,
Habt ihr auf euren Zügen denn von der G e s e l l s c h a f t nichts vernommen?"
Der Täuscher blickt verwirrt umher,
Und: "die Gesellschaft?" murmelt er.

"Wie, die so manchen braven Mann aus seinen Nöthen hat gezogen
Und keinen Heller Zinsen nimmt, zwei Worte nur auf weißem Bogen,
Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung wird beschämen,
Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß mich Wundernehmen!"
Der Täuscher horcht, er spricht kein Wort,
Und flüsternd fährt der Andre fort:

"Hört an, wenn in Silvesternacht das Mondlicht steigt in volle Bahnen,
Kein Dach, kein Baum es schatten mag, wenn silbern stehn der Thürme Fahnen,
Zum Schleusenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten, links die Föhren,
Wer euch begegnet - achtet's nicht; wer euch begrüßt - laßt euch nicht stören,
Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,
Ein wenig öde sieht es aus.

Verstorbnen Wuchrers Erb' um das sich sieben Lumpe hitzig streiten,
Und drinnen flimmt ein schwaches Licht, Ihr seht es freilich nicht von weiten,
Alljährlich nur in dieser Nacht, sonst stehen Thür und Thor verrammelt,
In einem Hinterbaue brennt's, wo die G e s e l l s c h a f t sich versammelt;
Ihr trefft sie, bis der Hahn gekräht, -"
Der Täuscher wendet sich und geht.

Wie trunken schwankt er durch den Hof, schwankt in die buntgefüllte Halle;
Der Kannen Klappern, das Geschrei - ihm ist, als ob die Decke falle;
Und seufzend löst vom Gürtel er die Lederkatze, und beklommen
Läßt er den ärmlichen Gehalt so Stück vor Stück zu Tage kommen;
Dann springt er auf, sein Sporenklang
Klirrt trotzig das Gehöft entlang.

Doch was er rufen, pfeifen mag, leer ist der Stall, nur aus den Raufen
Hängt wirres Heu wie sträubend Haar, und drunter dampfen Strohes Haufen,
Nur der Laterne feuchter Docht wirft Flämmchen auf mit leichtem Knallen,
Und läßt ein seltsam zuckend Licht um den gestreckten Rappen fallen,
Und in der Fensterscheibe steht
Des Mondes bleiche Majestät.


II

Das nenn' ich eine Winternacht! das eine Jahresleiche! Gnade
Der Himmel Jedem den die Noth treibt über diese blanken Pfade!
Sie glitzern auf, der Schlange gleich im weißen Pyramidensande,
Und drüber hängt, ein Todtenlicht, der Mond an unsichtbarem Bande,
Mit Fünkchen ist die Luft gefüllt,
Die Sterbeseufzer zieht und quillt.

Nie hat, seit Menschendenken, sich Sylvesternacht so scharf ergossen,
Der Tag hat Flocken ausgestreut, der Abend sie mit Glas umschlossen;
In den Gehöften Taub' und Huhn auf ihrer Stange ächzend ducken,
Der Hund in seinem Schober heult und fühlt den Wurm im Hirne zucken;
Zwei Spannen hat in dieser Nacht
Das Eis dem Strome zugebracht.

Verklommen steht am Thor die Wach' und haucht in die erstarrten Hände,
"Wer da!" "ein Freund!" und hastig stampft es längs der Brücke Steingelände;
Betroffen sieht ihn der Rekrut wie einen Mast am Strome schwanken:
"Der ist betrunken oder irr!" er steht ein Weilchen in Gedanken,
Bekreuzt sich, zieht die Uhr heraus,
Und lehnt sich an sein Schilderhaus.

In's offne Land der Täuscher tritt, er athmet auf und schaut nach oben;
Kein Wölkchen hängt am Riesenbau der dunklen Saphirkuppel droben,
Er wendet sich und sieht die Stadt wie eine Nebelmasse liegen,
Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz sich schimmernd wiegen,
Den Mantel zieht er an's Gesicht
Und schreitet fort im Mondenlicht.

Was liegt dort über'm Weg? - ein Mensch, ein Mann in dünnem Zwillichrocke, -
Der Täuscher zuckt. doch zaudert nicht; wohl sieht des Greisen dünne Locke,
Die Glatze, leuchtend aus dem Schnee, er sieht sie im Vorüberschreiten.
Und wie mit tausend Stricken zieht es nieder, nieder ihn, zur Seiten;
An's Herz hat er die Faust geballt,
Und weiter, weiter sonder Halt!

Die Scholle unterm Fuße kracht, und scheint ihn wimmernd anzuklagen,
Die Luft mit ihrem leisern Hauch ihm Sterberöcheln zuzutragen,
In dem verglas'ten Föhrenwald ein irres Leben surrt und klingelt,
In seiner eignen Kehle Hauch mit Funkenstaube ihn umzingelt,
Voran, voran, der Würfel liegt,
Verloren oder keck gesiegt!

Da wie ein Glöckchen tönt's von fern, und dann ein Lichtchen kömmt geschwommen
Den blanken Schlangenpfad entlang, ist an des Hügels Bug geklommen,
Das Glöckchen schwirrt, das Flämmchen schwankt, Gestalten dunkel sich bewegen,
Ein Priester mit dem Sakrament zieht dem verstörten Mann entgegen,
Und wie's an ihm vorüber schwebt
Der Mönch die Hostie segnend hebt.

Der Täuscher schaudert, und ihn reißt's wie Bleigewichte an den Knieen,
Doch weiter, weiter! - und vorbei läßt er den Gnadenengel ziehen;
Noch einmal schaudert er - ein Knall - des Stromes Flächen spaltend zittern,
Ein Windstoß durch der Föhren Haar, und die kristallnen Stäbchen klittern -
Da tritt zum Friedhof er hinaus,
Und vor ihm liegt das öde Haus.

Er starrt es an - ein düst'rer Bau! mit Zackengiebel, Eisenstangen,
Vom offnen Thore Nägelreihn wie rostige Gebisse hangen;
Der Täuscher zaudert, dann umschleicht behutsam wie ein Fuchs im Winde
Die Mauern er; - ist's nicht als ob ein Licht im Innern sich entzünde?
Er schüttelt sich, er tritt hinein
Und steht im finstern Gang allein;

Tappt am Gemäuer, wendet sich; dort flimmt es durch der Thüre Spalten,
Sacht beugt er zu der Ritze, lauscht, den schweren Odem angehalten;
Kein Ton, kein Räuspern, nur ein Laut wie scharfgeführter Feder Schrillen
Und ein Geriesel wie wenn Sand auf Estrich stäubt durch schmale Rillen;
Sacht greift er an die Klinke, sacht
Hat er gepocht und aufgemacht.


III

Wie friedlich in der Erde Schooß die still geringen Leutchen schlafen!
Endlich ein Pfühl nach hartem Stroh, nach saurer Fahrt endlich ein Hafen!
Dem Flockenwulste, sichtbar kaum, entheben sich die niedern Hügel,
Doch Gottes Engel kennt sie wohl, und schirmend breitet er die Flügel
Den Kreuzlein zu, die Pflock an Pflock
Sich reihen um den Marmorblock.

Am Sockel kreucht der Drachenwurm, und scheint zum Grund hinabzukrallen,
Zum todten Wuchrer unter'm Stein, von eigner Frevelhand gefallen,
Wohl hat ihm Gold ein ehrlich Grab geworben an der Friedhofsmauer,
Doch drüber zuckt sein Flammenschwert Sankt Michael in Zorn und Trauer,
So silbergrau, ein Nachtgesicht,
Steht das versteinerte Gericht.

Vom öden Hause, seinem einst, wo blutge Thränen sind geflossen,
Hat sich ein seltsam dämmernd Licht bis an den Marmelstein ergossen,
Es ist als ob das Monument bei der Berührung zitternd schwanke,
Im Schnee wühlend eine Hand dem Schuldner sich entgegen ranke;
Er kömmt, er naht, die Pforte dröhnt,
Er hat sich an den Stein gelehnt;

Bleich wie der Marmor über ihm, und finster wie das Kreuz zur Seiten,
Von Stirn und Wimper, Zähren gleich, geschmolznen Reifes Tropfen gleiten;
Was er in dieser schweren Nacht gelitten oder auch gesündet,
Er hat es Keinem je geklagt und Keinem reuig es verkündet;
In's Dunkel starrt er, wie man wohl
So starrt gedankenlos und hohl.

Ihm ist, als fühl' er noch die Hand die seinen Federzug geleitet,
Als fühle er den Nadelstich, der seines Blutes Quell bereitet,
Und leise zitternd tastet er zum Gurte, - hörst du nicht ein Knirren,
Viel schrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange Klirren ? -
O, seine Heimath, still umlaubt!
O, seines Vaters graues Haupt!

Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt er die Hände,
Der todten Gäule Klingeln hört er schleichen durch die Fichtenwände;
Genüber ihm am Horizonte schleifen schwarze Wolkenspalten,
Wie lässig eine träge Hand zum Sarge schleift des Bahrtuchs Falten;
Er streicht das Auge, reckt sich auf
Und schaut zum Aetherdom hinauf.

Noch hängt die Mondesampel klar am goldgestickten Kuppelringe,
Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie eine Doppelklinge,
Noch ist die Stunde nicht, wo sich der Hahn auf seiner Stange schüttelt,
O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!
Er wendet sich, da - horch, ein Klang,
Und wieder einer, schwer und bang!

Und mit dem zwölften Schlage hat der Wolkenmantel sich gebreitet,
Der immer höher, riesig hoch, sich um die Himmelskuppel weitet,
Und, horch! - ein langgedehnter Schrei, des Hahnes mitternächt'ge Klage;
Im selbigen Moment erhebt und lischt der Schein am Sarkophage,
Und Engel, Drache, Flammenschwert,
Sind in die wüste Nacht gekehrt.


IV

Ho! Gläserklang und Jubelsang und "Hurrah hoch!" fährt's durch die Scheiben,
Getroffen schwankt der goldne Leu, die Buben aus einander stäuben,
Und drängen sich und balgen sich, das fliegende Confekt zu fangen;
Ein Glas, 'ne Frucht, 'ne Börse gar, die blieb am Speer des Schildes hangen,
Und schreiend nach der Stange sticht
Das kleine gierige Gezücht.

Da klirrt aus des Balkones Thür ein Mann mit Gert' und Eisensporen,
Ihm nach ein Andrer, Flasch' im Arm, in Rausches Seligkeit verloren,
"Gesindel!" ruft der Eine: "halt! ich will euch lehren Börsen stechen!"
"Frisch, Jungens, frisch!" der Andre drauf: "die Birn ist mein, wer kann sie brechen?
Ihn schlag' ich heut', ich, Hans von Spaa,
Zum Ritter von Lumpatia."

"Besinnt euch," spricht der Erste; "was, besinnen? hab' ich mich besonnen
Als euer Falber wie'n gestochner Stier zusammenbrach am Bronnen?
Besann ich mich zu zahlen, Herr? o euer Vieh! dreihundert Kronen!"
Die Stimme bricht in trunknem Weh, er schluchzt: "mag euch der Teufel lohnen!"
Und schraubt den Pfropfenzieher ein;
Der Täuscher murmelt finster drein,

Und wendet sich. "He, holla, halt!" schreit's hinter ihm, "nicht von der Stelle!
Hoch euer Galgenmännlein, hoch der kleine rauchige Geselle!
Und wieder hoch! und dreimal hoch! - Alräunchen, Hütchen meinetwegen,
Mag's ferner goldne Eier euch, und Andern todte Bälge legen!"
Der Täuscher lächelt, aschenfahl,
Und schlendert pfeifend in den Saal.

Noch zwei Minuten, und du siehst den Gassenpöbel vor ihm weichen,
Ihn scheu wie ein umstelltes Wild entlang die Häuserreihen streichen:
So schleicht kein Trinker schweren Hirns und freudesatt sich vom Gelage,
So grüßt kein freies Herz, nicht steht auf offner Stirn so trübe Frage;
Man meint, das Thor gewinne jetzt
Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.

Erst als die Fichte ihn umstarrt, an seiner Sohle Nadeln rauschen,
Hat er den Schritt gehemmt und steht, in sich gebeugt, zu lauschen - lauschen -
So lauscht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur Minne ladet,
Kein Kranker so des Priesters Schritt, der mit dem Heilthum ihn begnadet:
Ein Delinquent so lauschen mag
Der letzten Stunde Pendelschlag.

Am Sonnenbrande schlummernd liegt der Wald in des Aroma Wellen,
Und Harz entquillt den Nadeln wie aus Schläfers Wimpern Thränen quellen,
Die sonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen vom Gesange,
In sich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzenhange,
An jeder Nadel weißer Rauch
Verdunstet Terpentines Hauch.

Durch das Gezweig' ein Sonnenstrahl bohrt in des Horchers Scheitellocke,
Die aus dem dunklen Wulste glimmt wie Seegewürmes Feuerflocke;
Er steht und lauscht, er lauscht und steht, vernimmst du nicht ein feines Schrillen,
Ein Rieseln, wie wenn Sandgekörn auf Estrich stäubt durch schmale Rillen?
So scharf es geht, so bohrend ein,
Wie Sensenwetzen am Gestein.

Der Täuscher richtet sich, er seufzt, dann drängend nach des Forstes Mitte;
An eklem Pilze klirrt der Sporn und Blasen schwellen unterm Tritte,
Hier wuchern Kress' und Binsenwust, Gewürme klebt an jedem Halme,
Insektenwirbel wimmelt auf und nieder in des Mooses Qualme,
Und zischend, mit geschwelltem Kamm,
Die Eidechs sucht den hohlen Stamm.

Der Wandrer bricht die Rank', er reißt und wüthet in den Brombeerhecken,
Da seitwärts durch Geröhres Speer erglänzt des Kolkes Dintenbecken,
Ein wüster Kübel, wie getränkt mit schweflichen Asphaltes Jauche,
Langbeinig füßelnd Larvenvolk regt sich in Fadenschlamm und Lauche,
Und faule Spiegel, blau und grün,
Wie Regenbogen drüber ziehn.

In Mitten starrt ein dunkler Fleck, vom Riesenauge die Pupille,
Dort steigt die Wasserlilg' empor, dem Fußtritt lauschend durch die Stille;
Wen sie verlockt mit ihrem Schein, der hat sein letztes Lied gesungen,
Drei Tage suchte man das Kind umsonst in Kraut und Wasserbungen,
Wo Egel sich und Kanker jetzt
An seinen bleichen Gliedchen letzt.

Der Täuscher steht, den Arm verschränkt, und stuurt verdüstert in die Lache,
Sein Haar voll Laub und Kletten bauscht sich finster an der Krempe Dache,
Gleich einem Senkblei scheint der Blick des Kolkes tiefsten Grund zu messen,
Zur Seite schaut er, rückwärts dann, kein Strauch, kein Hälmchen wird vergessen,
Greift dann behend zum Gürtelband
Und hält ein Fläschlein in der Hand.

Kaum hat das Ohr sich überzeugt, im Glase klingle das Gerispel,
Ein Wimmeln kaum das Aug' erhascht, wie spinnefüßelndes Gewispel,
Da, hui! pfeifts im Schwung' und, hui! fährts an der Lilie Krone nieder,
Das Wasser zischt, es brodelt auf, es reckt die modergrünen Glieder,
Und rückwärts, rückwärts sonder Halt
Raschelt der Täuscher durch den Wald.

Erst im Verhaue, wo die Luft spielt mit der Beere Würzarome
Und auf den goldnen Schwingen trägt das Festgeläut vom nahen Dome,
Dort sinkt er schluchzend auf die Knie, so fest, so fest die Händ' gefaltet,
O selten hat ein Seufzer so des Herzens tiefsten Grund gespaltet!
Was dieser Seufzer trägt, es muß
Sich nahen wie ein glüher Kuß.

Und Zähren Perl' an Perle sich entlang die braunen Wangen schmiegen,
So mochte der verlorne Sohn zu seines Vaters Füßen liegen;
Da plötzlich zuckt der Beter - greift zum Gurte - tastet dann auf's Neue -
Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein wunder Leue,
Und in den Fingern angstgekrampft
Die triefende Phiole dampft!!


V

Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes Nagen rüttelt,
Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem sich Kohlenstaub entschüttelt;
Die Träume ziehen, schwer wie Blei und leicht wie Dunst, um Flaum und Streue,
In Gold der hagere Poet, der dürre Klepper wühlt im Heue,
Vom Kranze träumt die Braut, vom Helm
Der Krieger, und vom Strick der Schelm.

In jener Kammer, wo sich matt der Fenster tiefes Grau schattiret,
Hörst du ein Rieseln, wie die Luft der Steppe zarten Staub entführet?
Und ein Gesäusel, wie im Glas gefangner Bremse Flügel wispelt?
Vielleicht 'ne Sanduhr, die verrinnt? ein Mäuschen, das im Kalke rispelt?
So scharf es geht, so bohrend ein
Wie Sensenwetzen am Gestein.

Und dort am Hange - Phosphorlicht, wie's kranken Gliedern sich entwickelt?
Ein grünlich Leuchten, das wie Flaum mit hundert Fäden wirrt und prickelt,
Gestaltlos, nur ein glüher Punkt in Mitten wo die Fasern quellen,
Mit klingelndem Gesäusel sich an der Phiole Wände schnellen,
Und drüber, wo der Schein zerfleußt,
Ein dunkler Augenspiegel gleißt.

Und immer krimmelts, wimmelts fort, die grüne Wand des Glases streifend,
Ein glüher gieriger Polyp, vergebens nach der Beute greifend,
Und immer starrt das Auge her, als ob kein Augenlied es schatte,
Ein dunkles Haar, ein Nacken hebt sich langsam an des Tisches Platte,
Dann plötzlich schließt sich eine Hand
Und im Moment der Schein verschwand.

Es tappt die Diel' entlang, es stampft wie Männertritt auf weichen Sohlen,
Behutsam tastend an der Wand will Jemand Rathes sich erholen,
Dann leise klinkt der Thüre Schloß, die losgezognen Riegel pfeifen,
Durch das Gemach, verzitternd, scheu, gießt sich ein matter Dämmerstreifen,
Und in dem Rahmen, duftumweht
Im Nachtgewand der Täuscher steht.

Wie ist die stämmige Gestalt zum sehnenharten Knorren worden!
Wie manches, manches graue Haar schattirt sich an der Schläfe Borden!
O, diese Falten um den Mund, wo leise Kummerzüge lauern -
So mocht an Babels Strömen einst der grollende Prophete trauern,
So der Verfemte sonder Rast,
Wie ihn Salvator* aufgefaßt.

Genüber, feingeschnitzelt, lehnt die Gnadenmutter mit dem Kinde,
Das sein vergoldet Händchen streckt wie segnend aus der Mauerspinde,
Und drunter, in Kristall gehegt, von funkelndem Gestein umbunden,
Ein überköstlich Heiligthum, ein Nagel aus des Heilands Wunden;
Zu seiner Ehre Nacht für Nacht
Das Lämpchen am Gestelle wacht.

Nie hat, in aller Schuld und Noth, der Täuscher einen Tag beschlossen,
Daß nicht an dieser Schwelle ihm ein glüher Seufzer wär' entflossen,
Selbst auf der Fahrt, auf nächt'gem Ritt, dämmert sein Auge in die Weite,
Von des Polacken Rücken hat er mühsam sich gebeugt zur Seite,
Und sein beladnes Haupt geneigt
Woher das Kind die Händlein reicht.

Ein scheuer Bettler Tag für Tag, so steht er an des Himmels Pforte,
Er schlägt kein Kreuz, er beugt kein Knie, nicht kennt sein Odem Gnadenworte,
Schlaftrunknes Murmeln nur und glüh fühlt er's durch die Phiole ranken,
Die seinem Leibe angetraut wie ragend Krebsgeschwür dem Kranken,
Und von dem kargen Lebensheerd
Ein Jahresscheit ist weggezehrt.

Auch jetzt, in dieser Stunde, steht er lautlos, mit gestreckten Knieen,
Nur leises Aechzen, und voran! - schau, schau, wie seine Muskeln ziehen!
Voran! - das Heilthum - der Krystall - er lehnt sich an die Wand, er schwindelt,
Ein angstvoll Zupfen - ein Gestöhn - er hat den Nagel losgewindelt,
Und stößt ihn dicht am Heil'genschrein
In der Phiole Siegel ein.

Hui! knallt der Pfropfen, hui, fährt das Glas in Millionen Splitter!
Gewinsel hier, Gewinsel dort und spinnefüßelndes Geflitter;
Es hackt und prickelt nach dem Mann, der unterm Gnadenbilde wimmert,
Bis Faser sich an Faser lischt, des Zentrums letzter Hauch verschimmert,
Und an der Gotteslampe steigt
Das Haupt des Täuschers, s c h n e e g e b l e i c h t.


VI

Weh, Glockensturm! Trompetenstoß! und Spritzen rasseln durch die Gassen,
Der aufgeschreckte Pöbel drängt und kreiselt sich in wüsten Massen,
Hoch schlägt die Brunst am Giebel auf, Gewieher kreischt aus Stall und Scheunen,
Der Eimer fliegt hinab, hinauf umhergestoßne Kinder weinen,
Und zögernd steigt das Morgenroth
Dem doppelt Glut entgegen loht.

Es war beim ersten Hahnenschrei als alle Bürger aufgeschüttert
Mit Schlossenpfeifen Knall auf Knall; so gräulich hat es nie gewittert!
Grad ob des reichen Böhmen Dach, des Täuschers, ballte sich das Wetter,
Wo Blitz an Blitze niederzuckt, mit ohrbetäubendem Geschmetter,
Nun überall an Scheun' und Haus
Prasselt der Flammenhaag hinaus.

Im Hof die Knechte hin und her mit Axt und Beilen fluchend rennen,
Wer schob die innern Riegel vor? die Thüren weichen nicht und brennen,
"Der Herr! der Herr!" ruft's hier und dort: "wo ist der Herr?" daß Gott ihm gnade,
An seinem Kammerfenster leckt die Loh' aus der geschlossnen Lade!
Und eben krachte in's Portal
Die Stiege zu dem obern Saal!

Entsetzt Gemurmel läuft umher und schwillt in des Gedränges Wogen,
Dann Alles todtenstill, sie stehn, die Brauen finster eingezogen;
So um den Scheiterhaufen einst gruppirten sich des Südens Söhne:
"Da brennt der Schächer, dessen Vieh das Land verlockt mit fremder Schöne
Und kaum verkauft, am dritten Tag,
Ein todtes Aas im Stalle lag!

Der Gaukler brennt, aus dessen Gurt ein wunderlich Geklingel surrte,
Daß man in rabenschwarzer Nacht ihn kennen mocht' an seinem Gurte,
Der keine Kirche je betrat, vor keinem Gnadenbild sich neigte,
Wenn ihm begegnet Christi Leib von Schwindel stammelt' und erbleichte,
Im gottgesandten Element
Der Täuscher, mit der Kuppel, brennt!"


VII

Am Wiesenhang 'ne Linde steht, so lieblich winkend mit den Zweigen,
Auf jedem Ast ein Vogelnest, um jede Blüth' ein Bienenreigen,
Sie scheint den düstern Föhrenwald aus ihren Kelchen anzulächeln,
Des nahen Städtleins Angelus ein säuselnd Ave zuzufächeln,
Und für den nahen Friedhof auch
Hat sie versüßt des Westes Hauch.

Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verstreut sie auf des Greises Stirne,
Der in dem Wurzelmoose lehnt sein Haupt mit siedendem Gehirne;
Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der Ranzen,
Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenschritten drüber tanzen,
Wie sie der Brust geheimster Hut
Entschlüpfen in des Fiebers Glut.

Den Anger seiner Kindheit sieht er in den Lindenzweigen spielen,
Die süße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbepfühlen;
Was er verloren und erstrebt, was er gesündet und getragen,
Wie Eine Nacht sein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn geschlagen.
O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab'
Zerbrach und ihm die Seele gab!

Er sieht sein faltiges Gesicht im Wasserspiegel widerscheinen,
Wie er sich selber nicht erkannt' und kindisch dann begann zu weinen;
Ach, all die Thränen, so nachher aus tiefrer Quelle sind geflossen,
Ob sie ihn Christi Blut vereint? des Himmels Pforten aufgeschlossen?
Wohl Schweres trug er mit Geduld,
Doch willenlos, durch eigne Schuld!

Mit vierzig Jahren siecher Greis, ist er von Land zu Land geschlichen,
Hat seines Namens Fluch gehört und ist zur Seite scheu gewichen,
Aus mancher Hand, die ihm gedient, hat er das Bettelbrod gebrochen,
Und ist, ein todeskranker Mann, an dieses Hügels Bug gekrochen,
ln diesen Hügel - ew'ge Macht!
Er schaudert auf; - Sylvesternacht!

Der Föhrenwald - das öde Haus - dort stand der Priester, dort am Hagen -
O, in der Sterbestunde hat sein irrer Fuß ihn hergetragen,
Das ist kein Schemen, dieses nicht; dort streckt Sankt Michael die Flügel,
Dort kreucht am Fußgestell der Drach' und schlägt die Kralle in den Hügel;
Des Greises Auge dunkelt, wild
Die Agonie zum Haupt quillt.

Das Buch - das Buch - er sieht das Buch - o Gottesmutter, Gnade! Gnade!
Er liebte dich, er liebte dich in Sünd' und Schmach! - gleich einem Rade
Die Zeichen kreisen - Gott, o Gott, er sieht ein Händchen niederreichen,
Mit leisem goldnem Fingerzug die blutgetränkten Lettern streichen!
Und auf des Täuschers bleichen Mund
Ein Lächeln steigt in dieser Stund'.

Um Mittag hat der Mähder ihn am Lindenstamme aufgehoben,
Und in des Karrens Futtergrün dem Leichenhause zugeschoben,
Auf der Gemeinde Kosten ist ein grobes Sterbehemd bereitet,
Ein kurzer träger Glockenschlag hat zu der Grube ihn geleitet,
Wo sich der Engelsflügel neigt
Und nicht des Drachen Kralle reicht.



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